Eine Sache, die ich mir im Moment wieder und wieder selbst sagen muss, ist: Das hier ist eine Pandemie, es ist ein Ausnahmezustand. Es ist ein Luxus, zu Hause bleiben zu können, in Sicherheit. Aber es ist schwierig, belastend. Denn was soll man an Tag 238 zu Hause machen, was man nicht schon tausendmal getan hat?
Dieses Projekt, das man immer schon angehen wollte. Wofür man nie die Zeit hatte, denn jetzt hat man sie. Endlich keine Ausreden mehr.
Und wieder muss ich mir sagen: Stopp. Das hier ist ein Ausnahmezustand, kein Selbstverwirklichungwettbewerb. Fange ich jetzt etwa an, jeden Tag Sport zu machen, nur weil ich jetzt nicht mehr die Ausrede habe, ich hätte keine Zeit? Nein. Denn ich war schon immer faul und dass ich jetzt zu Hause rumhänge und den ganzen Tag Serien schaue, hat nichts daran geändert. Ich bin immer noch wirklich, wirklich faul. Sehr gerne sogar.
Trotzdem versuche ich nicht in Lethargie zu verfallen, auch wenn es Tage gibt, an denen meine Depressionen stärker sind als ich und ich es nicht schaffe das Bett zu verlassen. Ich habe immer noch eine Arbeit, die ich gerne mache und möchte wenigstens so gut wie es mir möglich ist, fokussiert arbeiten können. Immerhin werde ich dafür bezahlt. Und es gibt meine Herzensprojekte, wie diesen Blog, die ich nicht im Sand verlaufen lassen möchte.
Dabei hilft mir ein Text, den ich im März gelesen habe, nachdem ich zum 5. Mal die Serie „Gilmore Girls“ geschaut habe. Lauren Graham, die die Lorelai spielt, hat sie in ihrem Buch erklärt. Es geht darum Struktur in den Tag zu bringen, ohne sich selbst zu irgendetwas zu zwingen.
Mir hilft es und vielleicht hilft es auch euch, den November zu überstehen und dabei den ein oder anderen Schritt zu machen. Und wenn nicht, dann ist das auch in Ordnung. Passt auf euch auf und bleibt gesund.
Rebecca
Der Küchentimer
Das Prinzip des Küchentimers ist, dass jeder Autor eine eindeutige und machbare Methode braucht, um jeden Tag erfolgreich zu sein und sich erfolgreich zu fühlen.
Um das zu erreichen, lernen wir, uns nach unserem Verhalten zu beurteilen, nicht nach dem Inhalt. Wir setzen uns ein Schreibziel, das leicht, messbar, angstfrei und vor allem ergebnissicher ist, denn jeder kann dasitzen und eine Stunde vergeht immer.
So funktioniert es:
- Wir kaufen uns einen Küchentimer, der bis zu 60 Minuten einstellbar ist. Oder wir benutzen eine Timer-App. Oder wir beauftragen Siri mit einem Timer für 10 Minuten.
- Am Montag beschließen wir, wie viele Stunden wir am Dienstag schreiben wollen. Wenn wir Zweifel haben oder unter Druck stehen oder zu Attacken gegen uns selbst neigen, nehmen wir uns lieber nicht so viele Stunden vor. Ein guter, starker Anfang ist eine Stunde am Tag, aber eine halbe Stunde ist auch gut. Oder zwanzig Minuten. Manche von uns tragen die Stunden als Termin in ihrem Kalender ein, als wäre es eine Verabredung zum Lunch oder ein Geschäftsbesuch.
- Die Küchentimerstunde:
Kein Telefon. Keine SMS. Wir bringen Anrufer zum Schweigen, wir drehen das Handy mit dem Display nach unten. Es ist unser Leben, wir haben das Recht auf eine Stunde, in der wir nicht unterbrochen werden, vor allem nicht von unseren Liebsten. Wir bitten sie um Unterstützung. „Es war eine Stunde“, ist eine Erklärung, die sie verstehen werden. Aber wenn wir das nicht respektieren, werden sie es natürlich auch nicht tun.
Keine Musik mit Gesang, es sei denn in einer Sprache, die wir nicht verstehen. Kopfhörer mit einer App für weißes Rauschen können nützlich sein.
Kein Internet, auf gar keinen Fall. Wir stellen das WLAN ab.
Nicht lesen.
Nicht Bleistift spitzen, Schreibtisch aufräumen, organisieren. - Wenn die Stunde beginnt, öffnen wir sofort zwei Dokumente: unser Tagebuch und das Projekt, an dem wir arbeiten. Wenn wir kein Projekt haben, an dem wir aktiv arbeiten, öffnen wir nur unser Tagebuch.
- Eine Stunde besteht nur aus der ZEIT, IN DER WIR UNSERE SCHREIBVERABREDUNG EINHALTEN. Fertig. Wir müssen nicht schreiben, wenn wir glücklich damit sind, auf den Bildschirm oder auf die Seite zu starren. Wir müssen auch kein einziges Wort für unser aktuelles Projekt schreiben, wir können die ganze Stunde mit unserem Tagebuch verbringen. Alles, was wir schreiben, ist in Ordnung; Ideen für zukünftige Projekte, Klagen über Menschen, die wir lieben, was wir zum Abendessen gegessen haben. Sogar vierhundertmal „Ich hasse das Schreiben“ ist okay.
Wenn oder falls wir wollen, wechseln wir zu unserem aktuellen Projekt und schreiben daran, solange wir mögen. Wenn wir müde werden oder eine Pause brauchen, gehen wir zurück zum Tagebuch.
Der Punkt ist, dass wir, wenn wir keine Lust haben oder müde werden, nicht vom Schreibtisch aufstehen, um eine Pause zu machen. Wir machen eine Pause, indem wir uns in die tröstenden Arme unseres Tagebuchs zurückkehren, bis es uns langweilt. Dann sind wir wieder bereit, an unserem Projekt zu arbeiten, und so weiter. So nutzen wir unsere Langeweile.
ES IST JEDERZEIT OKAY, NUR IN UNSER TAGEBUCH ZU SCHREIBEN. In der Praxis passiert es selten, dass wir die volle Stunde mit unserem Tagebuch verbringen, aber es ist vollkommen in Ordnung, gut und richtig, wenn es geschieht. Es ist als Arbeitstag genauso wertvoll, wie wenn wir ausschließlich an unserem aktuellen Projekt schreiben. - Es ist unendlich viel besser, jeden Tag weniger Stunden mit Schreiben zu verbringen, als einen Tag viel zu schreiben und am nächsten Tag gar nichts. Wenn wir ein Wochenende hinter uns haben, an dem viel los war, nehmen wir uns eine halbe oder eine Viertelstunde vor, füllen sie mit Schreiben und machen weiter mit unserem Tag. Wir wollen unseren Widerstand so gering wie möglich halten und am Montag nach zwei freien Tagen überhaupt eine Stunde einzuplanen, ist eine Herausforderung.
- Wenn die Stunde vorbei ist, hören wir auf, selbst wenn wir mitten im Satz sind. Wenn wir noch eine weitere Stunde eingeplant haben, gönnen wir uns eine Pause, bevor wir wieder beginnen – eine Pause, in der wir lesen, essen oder Dinge erledigen. Wir versuchen nicht, uns auch außerhalb der Stunde abzuschotten (das wäre die alte „Tut mir leid, ich kann mich mit niemandem treffen und auch das Haus nicht verlassen, weil ich eine Deadline habe“-Methode). Nicht angetastet wird die Zeit innerhalb der Stunde.
- Wenn wir es an einem tag nicht schaffen, die Stunden einzuhalten. die wir geplant haben, waren es zu viele. Beispielsweise sind vier Stunden, die man pro tag auf diese Weise verbringt enorm viel Zeit. Wenn wir uns am Mittwoch vorgenommen haben, zwei Stunden zu schreiben, es aber nicht geschafft haben, legen wir für den nächsten Tag eine kürzere Zeitspanne fest. Auf gar keinen Fall fügen wir eine Stunde hinzu, um etwas „wettzumachen“ oder „nachzuholen“. Wir lassen die Vergangenheit los und machen weiter.
- Wenn wir unsere Verpflichtungen erfüllt haben, sorgen wir dafür, dass wir uns dafür die gebührende Anerkennung zollen. Wir haben unsere Schuldigkeit uns selbst gegenüber getan, und der Rest des Tages gehört uns – wir können damit tun, was auch immer wir wollen.
- Ein Wort zum Inhalt: Vielleicht scheint sich hier alles um formale Dinge zu handeln, aber das Wissen darum, dass wir unsere Verpflichtungen uns selbst gegenüber erfüllt haben, sowie die Tatsache, dass wir weder Angst noch Widerstände ertragen müssen uns die einschüchternde Stimme in unserem Innern, die uns ständig angebrüllt hat, dass wir nicht genug schreiben, zum Schweigen bringen konnten – all das lässt unsere Kreativität aufblühen.
(Graham, Lauren (2016): Einmal Gilmore girl, immer Gilmore girl, S.179-183)
PS: Dass ich dieses Buch einmal als Quellenverweis angeben würde hätte ich auch nicht gedacht.