Ich bin mit dem Zug nach Hause gefahren.
Vor anderthalb Jahren habe ich das ständig gemacht, bin nachts um 4 los und kam am nächsten Tag abends zurück. Jeweils 4,5h. Es war meine Pendelstrecke.
Es war anstrengend, aber das hat mich nicht großartig gestört. Ich fahre gerne Zug. In diesen paar Monaten, in denen ich gependelt bin, habe ich mich in großen Schritten durch mein Bücherregal gelesen, habe im Zug Kleider gesäumt oder einfach ein Nickerchen gemacht.
All das geht beim Autofahren eher schwierig. Nein, da muss man sich aktiv aufs Fahren konzentrieren und darauf, keinen Unfall zu bauen. Zugfahren ist viel entspannter. Die Zeit wirkt nicht so verschwendet.
Doch dann kam durch Corona alles anders und der Zug wurde zur potenziellen Lebensbedrohung. Einfach alles wurde zur Bedrohung: einkaufen, Freunde treffen, das Haus verlassen. Mein Radius wurde schlagartig sehr klein und ich verlor ganz plötzlich meine Selbstständigkeit. Ich war vulnerabel, vorgeschädigt, schwach und musste geschützt werden. Ich hatte keinerlei Kontrolle mehr über mein Leben.
Sie jetzt plötzlich wieder zu haben ist komisch.
Seit kurzem habe ich einen vollständigen Impfschutz und bin so dankbar für dieses Privileg. Ich kann wieder normale Sachen machen. Endlich die richtigen Lachgummis kaufen, weil Christian immer die falschen kauft, aber ich kann ihm nicht böse sein, weil er sich um einfach alles kümmert. Als wir das erste Mal wieder zusammen einkaufen waren, tanzte ich regelrecht durch die Regalreihen und musste mich zusammenreißen nicht alles zu kaufen, was mir in den Sinn kam. Einfach, weil ich es jetzt endlich wieder kann.
Und trotzdem, es ist komisch, wieder so normale Dinge zu können. Seit einem Jahr habe ich eine grundlegende Angst verinnerlicht und ich kann nicht von heute auf morgen meine Angst einfach ablegen. Es ist, als hätte ich verlernt, ein normales Leben zu führen und alles, was ich mir in meiner Vergangenheit erkämpft habe, muss ich neu lernen: mit dem Auto irgendwo hin fahren, ganz alleine einkaufen, zu Terminen gehen, reisen.
Einige dieser Dinge lösen Panik in mir aus und ich habe das Gefühl, nicht mehr funktionieren zu können. Mein Körper und meine Psyche sind ständig auf Flucht eingestellt und ich muss mich dem immer wieder neu Stellen und mir selbst beweisen, dass ich das kann. Alles, was ich in den letzten anderthalb Jahren gelernt habe, muss ich wieder entlernen: Du bist nicht in Lebensgefahr. Du bist sicher. Du kannst das.
In diesem Zug kann dir nichts passieren. Nichts hier ist für dich gefährlich. Du bist geimpft, du bist geschützt und du hast deine Maske auf. Du kannst ganz ruhig atmen. Ein und Aus. Ein und Aus.
Langsam, Stück für Stück kann ich mir so hoffentlich meine Selbstständigkeit wieder erkämpfen, ohne mir selbst dabei im Weg zu stehen. Vielleicht fühlt sich das Leben dann irgendwann wieder viel leichter an.
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