Warum Therapie supercool ist (Teil 3)

Seit genau einem Jahr gehe ich nun regelmäßig zur Therapie und das wird sich wohl so schnell auch nicht ändern. Die Krankenkasse hat mir jetzt (im ersten Schritt) die Maximalanzahl von Sitzungen bewilligt und ich bin sehr erleichtert deswegen. Gleichzeitig habe ich aber auch diese nagende Frage im Hinterkopf: Was ist, wenn das nicht reicht?

Wie lang dauert eine Psychotherapie?

Ist es nicht verrückt, dass man ein Limit gesetzt bekommt, bis wann man wieder gesund sein muss, weil einem sonst die Hilfe einfach weggenommen wird?

Für mich stellt sich jetzt die Frage: Wo stehe ich nach einem Jahr? Was habe ich gelernt , was mitgenommen und wie geht es mir heute?

Heute geht es mir so viel besser als vor einem Jahr. So, so viel. Auch wenn man es mir gar nicht ansehen kann. Während ich im letzten Jahr Probleme damit hatte, das Bett zu verlassen, bin ich heute an mindestens der Hälfte aller Tage ganz gut gelaunt. Es ist, als würde der Tsunami abklingen und ich bin nicht mehr auf dem Grund des Ozeans gefangen. Ich lerne langsam zu schwimmen, auch wenn ich noch lange nicht wieder an der Oberfläche bin.

Aber was hat sich geändert, dass ich mich nicht mehr so hilflos fühle? Allem voran: meine Perspektive. Ich habe mich im letzten Jahr vielen unangenehmen Fragen gestellt. Was will ich eigentlich im Leben? Wieso bin ich so, wie ich bin? Wer bin ich überhaupt? Tja, wie sich herausgestellt hat, hatte ich keinen blassen Schimmer

Ich habe viel darüber nachgedacht, in wie weit meine chronische Krankheit und die Transplantation mich definieren. Sie gehören zu mir, keine Frage, aber ist da nicht noch mehr? Und wenn ja, was?

Jemand, die ein Buch in drei Stunden verschlingen kann. Jemand, der seit neuestem leidenschaftlich strickt und gerade dabei ist, sich eine neue Garderobe zu nähen. Jemand, die nur zum Spaß schreibt, weil so viele Geschichten in ihrem Kopf rumgeistern. Jemand, die schadenfroh lachend die Monster in Zelda plattmacht und stundenlang völlig sinnlos zuschaut, wie jemand mit simulierten Menschen spielt wie in einem Puppenhaus. (Ach, ich liebe die Sims).

All das gehört zu mir und hat absolut gar nichts mit meiner Krankheit zu tun. Aus irgendeinem Grund konnte ich nur noch sehen, was ich nicht bin und was ich nicht kann. Total blöd, wenn ihr mich fragt. Seit einer Weile nehme ich mir jetzt bewusst Zeit, die Dinge zu tun, die mir Spaß machen und es tut so unheimlich gut.

Ich weiß jetzt, dass es eine Zeit und einen Ort gibt, wo ich alles, was mich belastet bereden und hoffentlich lösen kann. So habe ich auch die Zeit und den Ort, um einfach mein Leben zu genießen.

Ich habe einen großen ersten Schritt gemacht, auch wenn es sich oft nicht so anfühlt. Aber es ist eben auch nur ein erster Schritt. Es werden viele, viele anstrengende folgen, aber wenn ich mir nicht sicher wäre, dass es bergauf geht, würde ich die Wanderstiefel ja gar nicht erst schnüren.

„Ein Jahr ist vergangen, dachte ich. Ein verdammtes Jahr war ich nun schon hier, und hatte die Zeit nicht genutzt. Es war für mich nicht abzuschätzen, wie wertvoll so ein Jahr war. Vielleicht hatte ich neunzig davon, dann war ein verdorbenes nicht so schlimm. Aber wahrscheinlich waren es viel weniger, dann war ein Jahr etwas sehr viel kostbareres. Und ich hatte es einfach weggeworfen. Schon seit langem zogen die Dinge nur noch an mir vorbei. Ich fragte mich, wann ich das letzte Mal voll da gewesen war. Es musste Ewigkeiten her sein, vielleicht mit fünfzehn. Ich war so dösig, so gleichgültig, schlief nicht richtig, war aber auch nie völlig wach. Höchstens halbwach. Ein gefährlicher Zustand. Du bist gefangen in einer Welt zwischen Träumen und Realität. Alles ist möglich und nichts wirklich, und am Ende stellst du fest, dass es verlorene Zeit ist.“

Benedict Wells (2009) Spinner, S.267-268


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