Ich blieb noch einige Wochen daheim und fing irgendwann an für einige Stunden wieder zur Schule zu gehen. Es machte mir Spaß, wieder in meinem Alltag zu sein, ich habe mich so gefreut, meine Freunde wieder zu sehen und zu zeigen, wie „normal“ ich jetzt war. Alle freuten sich mit mir.
Aber die Anstrengung war gewaltig. Länger als einige Stunden hielt ich nicht durch.
Wenn ich zu Hause blieb, versuchte ich mir die Aufzeichnungen meiner Klassenkameraden zu kopieren und anzuschauen. Immerhin hatte ich monatelang gefehlt. Der Anblick dieser nicht enden wollenden Aufgabe hat mir sehr große Angst gemacht.
Selbst nach einigen Wochen hatte ich höchstens einen Bruchteil an Stoff aufgeholt und ich konnte immer noch nur vereinzelte Tage zur Schule. Mein größtes Problem wurden nun die Noten. Um ein Zeugnis zu bekommen und versetzt zu werden, was mein Ziel war, immerhin wollte ich in der Klasse bleiben, brauchte ich dringend Zensuren. Im Lateinunterricht musste ich deswegen einen Test und eine Klassenarbeit auf einmal wiederholen, nachdem ich mehr oder weniger das gesamte Schuljahr gefehlt hatte. Als ich meine Lehrerin im Vorfeld um Nachhilfe gebeten hatte, bekam ich die Antwort: „Dafür fehlt die Zeit, das musst du selbst machen“. Ja danke. Wer kann sich nicht mit 13 Jahren selbstständig eine historische Sprache aneignen. Kein Ding. In besagter Klausur schrieb ich übrigens eine 5. Oh und in dem Test auch. Die Arbeiten schrieb ich inmitten der Klasse, die in Gruppen an den Schulcomputern saß und sich natürlich lautstark unterhielt, ein anderes Mal saß ich an einem Tisch im SchulFLUR.
Ich will mich ja nur ungern beschweren, aber beschissen war das schon.
Nachdem ich also heulend meiner Mutter viele schlechte Noten gebeichtet habe, hat sie mich für viel Geld bei der Nachhilfe angemeldet. Es ging ja nicht nur um mein Ego, sondern auch die Versetzung. Das Beste war: Die Nachhilfe in Latein war am Samstag Morgen. Yay…
Aber: Ich bin von Fünf auf Zwei gestiegen. Meine Lehrerin schien sich den Erfolg allerdings selbst zuzuschreiben…
Ein anderes Beispiel war der Musikunterricht. Liedkontrolle. Ich brauchte unbedingt eine Note, war aber nicht vorbereitet. Ich musste Stoff in allen Fächern nachholen, Musik ist da jetzt nicht meine oberste Priorität gewesen. Egal, plötzlich stand ich mit Tränen in den Augen vorne, habe mir schief und krumm was zusammengesungen und eine weitere schlechte Note kassiert.
Selbst nach 14 Jahren, in denen ich jetzt sängerisch tätig bin, kann ich immer noch nicht vor Publikum Solo singen, ohne dass ich eine halbe Panikattacke kriege. Kein Wunder, dass das in dem Moment jetzt auch nicht sooo fantastisch lief.
Allerdings hatte ich ganz andere Probleme.
Noch immer nahm ich sehr unregelmäßig am Unterricht teil und irgendwann ließ das Verständnis in der Klasse nach. Immerhin war ich jetzt „gesund“. Für meine Klassenkamerad*innen fühlte es sich sicher komisch an, dass ich nur selten komme und mir gefühlt nur noch meine Noten abhole. Irgendwie unfair.
Inzwischen verstehe ich das. Damals war es das Schlimmste, was mir passieren konnte. Ich hatte das Gefühl unwillkommen zu sein und ausgeschlossen zu werden. Immerhin hatte ich auch zwischenmenschlich viel verpasst. Mich zurück in die Schule zu kämpfen wurde immer schwieriger und schwieriger, bis ich keine Kraft mehr hatte, gewissermaßen aufgab und gar nicht mehr hin wollte. Ich konnte nicht. Immer und immer wieder war ich krank. Inzwischen ließ ich mich sogar nach Hause schicken, weil ich mich schlecht fühlte oder blieb deswegen, so oft mich meine Mutter ließ, zu Hause. Manchmal zwang sie mich noch zur Schule zu gehen, aber schließlich wussten wir beide nicht mehr weiter und haben uns Hilfe suchen müssen, weil ich immer tiefer in der Depression versunken bin.
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